Digitale Systemauswahl – Warum Ihr keine Berater braucht
- mariohenzler
- 14. Feb.
- 5 Min. Lesezeit
In diesem Beitrag möchte ich über eine Gruppe sprechen, die sich häufig im Unfeld der Systemauswahl tummelt - Single-Runner-Berater.
Über die Jahre habe ich die eine oder andere Erfahrung gemacht, die ich gerne teilen möchte. Und ich habe auch eine paar Hinweise für alle die aktuell oder zukünftig vor der Aufgabe stehen im Zuge der digitalen Transformation ein System oder eine Plattform zu evaluieren.

Zugegeben, die Auswahl eines neuen Systems ist eine komplexe Herausforderung. Unternehmen haben in der Regel keine große Erfahrung und stehen vor einem unübersichtlichen Markt mit unzähligen Anbietern, während die internen Anforderungen oft diffus oder widersprüchlich sind. Da greift man gerne auf externe Beratung zurück – insbesondere im Mittelstand findet man immer wieder eine gewisse Präferenz für die vorgenannten „Single-Runner“, also Einzelberater. Auftraggeber versprechen sich von ihnen, im Gegensatz zu den größeren Beratungen, keine Abhängigkeit, Kostenersparnis durch günstigere Beratungssätze und eine neutrale Steuerung des Auswahlprozesses durch "Seriosität und Erfahrung.“ Ob diese Erwartungen so erfüllt werden können, wollen wir uns einmal genauer ansehen.
Die Illusion der Objektivität
Single-Runner-Berater treten gerne als neutrale Experten auf, doch echte Objektivität ist selten. In der Praxis empfehlen sie meist die Systeme, die sie bereits kennen oder mit denen sie in der Vergangenheit gearbeitet haben. Das liegt nicht nur an persönlichen Präferenzen, sondern auch an der Schwierigkeit, den gesamten Markt im Blick zu behalten. Der Markt an digitalen Lösungen ist hochkomplex und dynamisch, und es ist für Einzelberater nahezu unmöglich, alle relevanten Lösungen kontinuierlich zu evaluieren. Hinzu kommt, dass die digitale Transformation Silogrenzen z.B. zwischen Vertrieb, Marketing und Service auflöst, da ist es wenig zielführend und zukunftsorientiert mit einem Berater zusammen zu arbeiten der sich z.B. nur als CRM-Experte versteht.
Zeit- und Kostenfalle: Der „klassische“ Auswahlprozess
Aber auch das von Einzelberatern üblicherweise angewandte Vorgehen bei der Systemauswahl gibt Anlass zur Kritik. Das liegt primär am zeitgetriebenen Geschäftsmodell der Single-Runner und an dem daraus resultierenden Ablauf des Beratungsprozesses der, auf den Punkt gebracht, so funktioniert - je länger der Auswahlprozess, desto höher der Umsatz.
Aber der Reihe nach. Ein typischer Single-Runner-Ansatz bei der Systemevaluation folgt einem starren, plangetriebenen Prozess der, objektiv betrachtet, wenig Platz für die individuellen Ziele und Notwendigkeiten des Kunden bietet. Als Mehrwert und Kompetenznachweis werden gerne „bewährte“, generische Lastenheftvorlagen und Feature- und Funktions Listen (gerne in Form umfangreicher Excel-Sheets) in den Beratungsprozess eingebracht. In diesem Rahmen werden Kundenanforderungen in mehreren Workshops dann „passend gemacht“.
Dann folgt die Anbieteransprache. Zunächst werden auf Basis einer Longlist – oft viel zu vielen potenziellen (auch ungeeigneten) Anbieter angefragt. Da fragt man sich, wo die erwartete Expertise und Marktkenntnis sein soll? Aber klar, erinnern wir uns an das Geschäftsmodell. Die ganzen Anbieterantworten auf umfangreiche Lastenhefte und Fragenkataloge wollen ja „objektiv“ ausgewertet sein. In unendlichen Excel-Listen entsteht so der Eindruck neutraler Selektion. In Wahrheit dient das Ganze nur einem Zweck – Beraterstunden generieren.
Ergebnis des ganzen Aufwands ist die Erstellung einer Shortlist auf der sich die Anbieter finden, die „wirklich“ in Frage kommen. Da fragt man sich natürlich ob man, mit der Expertise die man sich vom Berater erwarten darf, auf diesen Longlistpart nicht komplett hätte verzichten könnte?
Weiter im Text. Die Shortlistanbieter werden in eine neue Runde geschickt, oft mit mehr Fragen, Excels, tiefergehenden Demos und Gesprächen. Natürlich auch immer mit der ganzen Projektgruppe des Kunden, in ganztägigen Workshops…...
Das Problem: Dieser gesamte Prozess ist extrem zeitintensiv und verursacht insgesamt hohe Kosten. Wochen- oder monatelange Workshops, Abstimmungsrunden und Funktionsvergleiche führen nicht zwangsläufig zu einer besseren Entscheidung, sondern oft nur zu einer theoretischen, praxisfernen Auswahl. Am Ende steht oft nicht die beste Lösung, sondern die, die am besten zum Verfahren passt. Übrigens - Einige der marktführenden Anbieter steigen oft gar nicht mehr in solche Verfahren ein, das Ergebnis kann sich jeder ausmalen.
Absicherung bei der Systemauswahl – die trügerische Sicherheit
Das klingt alles hart, soll aber nicht als Bashing verstanden werden. Denn wo Bedarf ist, ist so ein Angebot ohne Frage legitim. Man fragt sich nur, warum gibt es diese Nachfrage?
Ein von Kundenseite gerne angeführten Argument ist die geteilte Verantwortung und die Sicherheit der Entscheidung. Nach meiner Meinung ist das ein Trugschluss der Auftraggeber. Die Berater sind nicht Teil des Unternehmens – sie folgen einer eigenen Agenda (siehe oben) und tragen kein Risiko, wenn die Entscheidung sich als falsch herausstellt. Die Verantwortung bleibt immer beim Unternehmen selbst. Wer glaubt, ein Berater könnte diese Last abnehmen, macht sich etwas vor. Meine Meinung ist hier eindeutig. Unternehmer und Manager tragen die Verantwortung für den Erfolg der digitalen Transformation. Entscheidungen über die Zukunft des Unternehmens lassen sich nicht delegieren – nicht an Berater und auch sonst an niemanden. Das ist Chefsache. Wer den Wandel vorantreiben will, muss ihn aktiv gestalten. Kein anderer sollte ein größeres Interesse am Gelingen habe als das Unternehmen und die dort Verantwortlichen selbst. Deshalb mein Appell: Traut euch selbst und euerer Mannschaft mehr zu, übernehmt die Führung und versteckt euch nicht hinter der (vermeintlichen) Objektivität von außenstehenden Akteuren.
Der bessere Weg: Do It Yourself
Meine Empfehlung für mittelständische Unternehmen: Anstatt den Auswahlprozess an einen externen Berater zu delegieren, sollten Unternehmen selbst das Steuer übernehmen. Dabei ist es mehr als eine Überlegung wert, dem Fachbereich diese Aufgabe zu übertragen. Warum? Weil sie am besten wissen, welche Anforderungen im Raum stehen und welche Prozesse optimiert werden können/müssen. Sie verstehen die geschäftlichen Herausforderungen, bei denen ein digitales System unterstützen soll und können am besten bewerten, ob eine Lösung funktional und effizient zu ihren Bedürfnissen und Plänen passt. Zudem sind sie diejenigen, die den Wandel aktiv gestalten und die Akzeptanz im Unternehmen fördern sollten – ein entscheidender Erfolgsfaktor für jede Transformation.
Auch die interne IT spielt in diesem Setting natürlich auch eine wichtige Rolle – allerdings als Partner des fachbereichs. Sie bringt Expertise in IT-Architektur, Integration, Sicherheit und Skalierbarkeit ein. Durch diese veränderte Rolle kann sich die IT aufs Wesentliche konzentrieren, was die üblicherweise ohnehin schon knappen IT-Ressourcen entlastet und das Unternehmen insgesamt agiler macht.
Dieses Zusammenspiel sorgt für eine praxisnahe Auswahl, hohe Effizienz und eine erfolgreiche Einführung digitaler Systeme.
Und nein, Systemauswahl ist keine Raketenwissenschaft. Gesunder Menschenverstand und etwas Lernbereitschafts helfen ungemein. Wie so eine Systemevaluation in Eigenregie aussehen könnte: Hier ein Beispiel:
Interne Anforderungsanalyse: Welche übergeordneten Ziele gibt es? Welche Prozesse sollen digitalisiert werden? Welche Probleme müssen gelöst werden? Welche Stakeholder sind einzubinden.
Markt- und Lösungsrecherche: Erfahrungsberichte von anderen Unternehmen nutzen. Einschätzungen von Analysten wie IDC, Gartner oder Forrester heranziehen.
System-Demos mit echten Use Cases: Keine Hochglanzpräsentationen, Keine Funktionsabfragen, sondern realistische Szenarien vorgeben.
Proof-of-Concept: Mit kleinem Budget ausprobieren, ob ein System in der Praxis hält, was man sich von ihm verspricht.
Agile Implementierung mit einem erfahrenen Partner des Systemanbieters: Schnell erste Erfahrungen sammeln, flexibel anpassen.
So aufgestellt wird intern nicht nur Know-how aufgebaut, sondern auch die Phantasie beflügelt, da die Fachbereiche sich intensiv mit den Möglichkeiten neuer Systeme auseinandersetzen. Gleichzeitig verkürzt sich der Auswahl- und Entscheidungsprozess, da diejenigen, die das System später nutzen, direkt eingebunden sind und keine unnötigen Schleifen geflogen werden. Die Mannschaft wird motiviert, gestaltet aktiv und verantwortlich den Wandel mit. Das erhöht Akzeptanz erhöht und reduziert Widerstände.
Es gibt aus meiner Sicht wenig, was gegen Do-it-yourself bei der Systemauswahl spricht. Am Ende bedeutet Selbermachen weniger Reibungsverluste, eine schnellere Umsetzung und eine effizientere Nutzung der Ressourcen – wodurch sowohl Zeit und auch Geld gespart wird.
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